6 Fragen zur Wohnungslüftung
- Herr Huber, braucht ein Haus eine automatische Lüftung – und wenn ja, warum eigentlich? Man kann ja auch die Fenster öffnen!
Eine manuelle Fensterlüftung, die ganztägig und über das ganze Jahr eine gute Raumluftqualität gewährleistet und zudem energetisch optimal ist: Das wäre ein Teilzeitjob, der eine 24-Stunden-Präsenz erfordert! Man müsste dabei mehrmals in der Nacht den Schlaf unterbrechen, um dem gerecht zu werden. Wie die Praxis zeigt, leisten sich selbst Personen, die den ganzen Tag zu Hause sind, diesen Aufwand kaum. Zu wenig Lüften führt neben einer schlechten Raumluftqualität auch zu Feuchteschäden, selbst bei neuen Gebäuden. Bei der anderen bequemen Lösung, den dauernd geöffneten Kippfenstern, resultiert ein unnötig hoher Heizenergiebedarf und eine zu trockene Raumluft. Je nach Lage stört zudem der Aussenlärm und es kann Zugerscheinungen geben.
Eine moderne automatische Lüftung löst die Aufgabe der optimalen Lüftung von alleine und spart dank der Wärmerückgewinnung nebenbei noch Heizenergie ein.
Es gibt Analogien zu anderen Technologien im Wohnbereich: Der Geschirrspüler ist nicht nur bequemer, sondern auch energieeffizienter und wassersparender als das Abwaschen von Hand. Die Wärmepumpenheizung bringt uns automatisch Wärme in die Wohnung, und das so bequem, energieeffizient und umweltfreundlich, wie es mit Grossmutters Stubenofen niemals möglich war.
Noch zu den Fenstern: In Wohnungen muss jeder Raum, der zum Aufenthalt von Personen bestimmt ist, gemäss den Schweizer Normen manuell öffenbare Fenster haben. Das gilt auch für Minergie-Gebäude. Man kann und soll jederzeit die Fenster öffnen können, wenn das Bedürfnis dazu besteht. Zudem ist dies bei aussergewöhnlich hohen Belegungen, z. B. einem Familienfest oder zur Nachtauskühlung, sogar angesagt. Die Fensterlüftung ist ein sehr probates Mittel zur Intensivlüftung. - Welche Lüftungssysteme können Sie empfehlen? Gibt es je nach Standort unterschiedliche Eignungen?
Die Königsvariante ist nach wie vor die Komfortlüftung: Dabei werden die Zimmer mit frischer Luft versorgt und die verbrauchte Luft wird in Bad, Dusche, WC abgeführt. Die Wärmerückgewinnung reduziert die Lüftungswärmeverluste um rund 80 %. Der Stromverbrauch ist rund 7 bis 10-mal tiefer als die eingesparte Wärmeenergie. Auf Wunsch kann neben Wärme auch Feuchte übertragen werden. Dies beugt im Winter tiefen Raumluftfeuchten vor, resp. reduziert den Energieverbrauch für die Luftbefeuchtung.
Bei Modernisierungen lässt sich die Komfortlüftung teilweise nur sehr schwer, d. h. mit hohen Kosten, realisieren. Hier kommen allenfalls Abluftanlagen mit definierter Nachströmung (sog. Aussenluft-Durchlässe, abgekürzt ALD) oder Einzelraum-Lüftungsgeräte (kleine Geräte mit Zu- und Abluft für einzelne Räume) in Frage.
Für Modernisierungen stehen heute aber auch interessante Lösungen mit Komfortlüftungen zur Verfügung. Bei der Verbundlüftung wird nur an einer Stelle in der Wohnung (z. B. im Korridor) frische Luft zugeführt. Die Verteilung in die Zimmer erfolgt bei offenen Türen selbstständig und ohne technisches Mittel. Bei geschlossenen Zimmertüren können sog. aktive Überströmer eingesetzt werden, die den Luftaustausch zwischen Zimmer und Korridor gewährleisten.
Seit Anfang 2019 lässt Minergie bei der Modernisierung die Verbundlüftung ohne aktive Überströmer zu. Dies führt einerseits zu einfachen, kostengünstigen Lösungen, ist aber andererseits mit einem Kompromiss bei der Luftqualität verbunden. Denn wenn z. B. nachts die Schlafzimmertür geschlossen ist, ist das entsprechende Zimmer von der Verbundlüftung abgekoppelt. - Es gibt Stimmen, welche die Ökobilanz von Lüftungen infrage stellen. Stimmt das? Was kann man tun, um eine möglichst gute Bilanz zu erzielen?
Es gibt in der Tat Beispiele von Anlagen, die eine fragwürdige Ökobilanz aufweisen. Die Gründe sind komplizierte und lange Luftverteilungen, überdimensionierte Luftmengen und unnötige Komponenten. Zudem kommt in einigen Fällen eine mangelhafte Einregulierung und Inbetriebnahme dazu. Komfortlüftungen mit kurzen Verteilsystemen, korrekter Dimensionierung und sauberer Inbetriebnahme schneiden aber in der Ökobilanz gut ab.
Bei dieser Diskussion gibt es aber auch zu beachten, dass die Graue Energie und die Betriebsenergie nicht das Mass aller Dinge sind. Es muss auch die Raumluftqualität (die gesundheitsrelevant ist), der Schallschutz, das Risiko von Feuchteschäden und der allgemeine Komfort betrachtet werden. Bei diesen Aspekten schneidet die Komfortlüftung sehr gut ab. - Lohnt sich eine Lüftung aus wirtschaftlicher Sicht? Kann man den Nutzen in Franken benennen und mit den Kosten verrechnen?
Wenn nur die eingesparte Heizenergie betrachtet wird, leider nein. Wer sich für eine Komfortlüftung oder auch ein anderes mechanisches Lüftungssystem entscheidet, muss sich bewusst sein, dass etwa die Hälfte der Investition über Komfort (gute Raumluftqualität, bequemeres Lüften) und Wertgewinn (Schallschutz, weniger Feuchteschäden) begründet werden muss. Auch hier lässt sich die Analogie zum Geschirrspüler und zur Heizung heranziehen. Ein Verzicht auf diese technischen Einrichtungen spart zwar Baukosten, längerfristig würde heute aber kaum mehr jemand von einer wirtschaftlicheren Lösung sprechen. Wichtig ist, dass die Lüftung schon in der Planung hinsichtlich den Unterhaltskosten optimiert wird: Schlecht zugängliche Geräte oder Filter verursachen weit höhere Kosten als solche, die ohne Zutritt zu Wohnungen gewartet werden können. Filter in Aussenluftdurchlässen und Einzelraumlüftungsgeräte sind diesbezüglich kritisch, wie diese Studie zeigt: Link zur Studie - Auf was würden Sie als Bauherr oder Planer besonders achten bei der Lüftung?
Auf Seite von Bauherren, auch von professionellen, vermisse ich heute eine gewisse Bestellerkompetenz in Sachen Lüftung. Ein erster Schritt kann das Studium von frei zugänglichen Informationen, wie z. B. der Minergie-Broschüre «gute Raumluft», sein. Danach würde ich Referenzen einholen. Das heisst nicht in erster Linie die Leistungen von verschiedenen Herstellern, Installateuren und Planern vergleichen, sondern möglichst vor Ort authentische Beurteilungen von Bauherren und falls möglich Bewohnern zu verschiedenen Konzepten einholen. Diese Vorbereitung erlaubt es dann zusammen mit Architekt und Fachplaner, die eigenen Anforderungen an die Wohnungslüftung zu formulieren. Bei professionellen Bauherren erachte ich es als angemessen, wenn die Mitarbeitenden eine Weiterbildung zum Thema Wohnungslüftung absolvieren. Zudem muss ein Bauherr durchsetzen, dass das Lüftungskonzept bereits in der ersten Planungsphase thematisiert wird.
Planern empfehle ich Ihren Kunden einfache und korrekt dimensionierte (keine Überdimensionierung) Wohnungslüftungssysteme vorzuschlagen. Da sich diese Strategie in der Praxis leider negativ auf das Honorar auswirken kann, müssen Bauherrschaften Honorarmodelle akzeptieren, die die fachlichen Leistungen des Planers und nicht die Baukosten der Anlage honorieren.
Wesentlich finde ich, dass sowohl der Bauherr wie auch der Planer eine Inbetriebsetzung und Abnahme mit Protokollen und Leistungsnachweisen (z. B. gemessene Luftmengen) fordern. - Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was sollte Minergie besser machen?
Das wesentliche und viel diskutierte Merkmal von Minergie-Gebäuden ist die Lüftung. Hier muss Minergie gegenüber Bauherren, Planern, Industrie und Behörden eine hohe Kompetenz ausstrahlen. Mein Wunsch ist daher, dass Minergie die Fachkompetenz Lüftung über alle Stufen, d. h. von der Geschäftsstelle bis zum Antragsprüfer hochhält und bei Bedarf durch Weiterbildung ausbaut.
Professor Heinrich Huber ist Dozent für Gebäudetechnik und leitet die Prüfstelle Gebäudetechnik am Institut für Gebäudetechnik und Energie (IGE) der Hochschule Luzern – Technik & Architektur in Horw. Heinrich Huber engagiert sich auch stark im Normenwesen. Seine Kompetenzen liegen in der energieeffizienten Gebäudetechnik, mit Spezialgebiet Wohnungslüftung. Er ist Autor diverser Fachbücher, Fachpublikationen und Studien zum Thema und geniesst einen hervorragenden Ruf in der Branche.